Pax und Logos – Kongressrede
Ano de publicação: 2025
Anlässlich des Logotherapie Kongress in Antalya 2025
Kongressrede von Elisabeth Lukas
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kongressteilnehme-rinnen und -teilnehmer, ich sende Ihnen herzliche Grüße aus Österreich.
Im Jahr 2015 ist ein Buch von mir erschienen mit dem Titel „Das Schicksal waltet – der Mensch gestaltet“. Das Schlusskapitel in diesem Buch trägt die Überschrift: „Pax und Logos“. Ich beschäftige mich also schon seit über 10 Jahren mit diesem Thema. Es ist ein ungemein brisantes und herausforderndes Thema. Denn sehen Sie:
Jeder Mensch wünscht sich und sehnt sich nach Frieden. Und trotzdem herrscht seit Jahrtausenden Unfrieden zwi-schen den Menschen und finden die schrecklichsten Kriege zwischen den Völkern statt. Wieso eigentlich?
Nun, zum Einen steckt ein animalisches Erbe in uns. Auch die Tiere kämpfen um Futter, Beute, Territorium, Weibchen, um Gruppenposition und Ähnliches. Außerdem tickt die Evolution in uns mit ihren knallharten Gesetzen, denen zu-folge der Stärkere überleben und sich vermehren soll, und der Schwächere gnadenlos eliminiert werden soll. Es muss gekämpft werden, damit sich in einer natürlichen Auslese lebensfähige Sieger von lebensuntüchtigen Verlierern scheiden.
Zusätzlich gibt es psychophysische Faktoren, die die Ge-müter von Mensch und Tier aufheizen. Wir wissen, dass Frustrationen automatisch Wut, Ärger und Aggressionen er-zeugen. So hat Viktor Frankl zum Beispiel im Konzentrati-onslager beobachtet, wie die Gereiztheit der Häftlinge stieg auf Grund von ständigem Hunger, Schlafmangel und andau-ernder Erniedrigung.
Das alles ist wissenschaftlich hinreichend belegt. Die Ab-handlungen über derlei Aggressionsursachen füllen ganze Wände von Bibliotheken. In der Logotherapie aber richten wir den Fokus auf die geistige Ebene des Menschen, und in dieser spezifisch humanen, geistigen Ebene öffnet sich ein gewisser Freiraum. Als mit dem Geist begabtes Wesen ist der Mensch kein reines Produkt von Endo- und Exogenese, ist die Person kein bloßes Opfer ihrer äußeren Umstände oder inneren Regungen und Triebe. Schließlich hat uns Frankl über die „Trotzmacht des Geistes“ informiert, mit der man notfalls auch aggressiven Impulsen in sich selbst widerstehen und Einhalt gebieten kann.
In dem von mir erwähnten Buch ist ein kleines Beispiel aus meiner eigenen Praxis abgedruckt. In einem familiären Konfliktfall hat eine meiner Patientinnen ihre „Trotzmacht des Geistes“, also ihre geistige Freiheit erfolgreich mobili-siert. Ich lese Ihnen den diesbezüglichen Ausschnitt vor:
Eine Dame saß bei mir in München und schimpfte auf ihren Vater, der in Graz wohnte, und den sie nur ein paarmal im Jahr aufsuchte. (Ich muss dazusagen: Graz ist etliche Auto-stunden von München entfernt.) Ihr Vater war ein einsamer, alter Rentner und verbrachte seine Tage hauptsächlich mit Fernsehen. Kam die Dame bei einem ihrer seltenen Besuche zu seiner Türe herein, hockte er gewöhnlich in seinem Lehnstuhl vor dem Bildschirm und empfing sie mit der Auf-forderung, leise zu sein, weil er dem laufenden Film folgen wollte. Zutiefst erbost, dass ihm die Fernsehstory wichtiger war als seine Tochter, machte sie dann kehrt, verließ ihn wieder und knallte die Türe hinter sich zu. Von Zorn gebeu-telt fuhr sie nach München zurück, wo sie eine Telefonnach-richt ihres Vaters vorfand, der sich bitterlich über ihre Ma-nieren beklagte. Diesen Anruf beantwortete die Dame mit eisigem Schweigen, und so trübte sich das Verhältnis zwi-schen den beiden zunehmend ein.
Im Beratungsgespräch erklärte ich der Frau, dass sie zwar ihren Vater nicht ändern könne, dass sie aber frei sei, über ihr eigenes Tun zu entscheiden. Dass es ganz allein ihre Wahl sei, wie sie dem aufs Fernsehen fixierten Vater begeg-nete. Gewiss, sie konnte ihn hassen, ihn strafen, sie konnte ihm aber auch generös einen winzigen Vorschuss an Kindes-liebe gewähren – das lag einzig und allein bei ihr. Es lag überdies an der Frage, wer sie selbst sein wollte: Ein gehäs-siger Mensch? Ein barmherziger Mensch? Ich erläuterte ihr den markanten Satz Frankls, wonach jede Tat ihr eigenes Denkmal ist. Sie wurde immer nachdenklicher und ent-schied sich alsbald, eine neue Wahl zu treffen.
Als sie das nächste Mal bei mir erschien, war sie tatsäch-lich über ihren Schatten gesprungen. In Graz angekommen, war sie zur Türe ihres Vaters hinein marschiert, hatte ihm einen Begrüßungskuss auf die Stirne gedrückt und sich ru-hig neben ihn vor den Fernseher gesetzt. Ein Wunder ge-schah! Der Vater hatte sich erstaunt ihr zugewandt und aus-gerufen: „Wie schön, Kind, du bist ja da!“ Er hatte den Ton des Fernsehers abgedreht und sich gefreut. Ja, solche Wun-der geschehen, wo Pax und Logos Arm in Arm miteinander über die Erde wandern, bzw. dort, wo Menschen sich als agierende und nicht bloß als reagierende Wesen verstehen.
Dies ist ein simples Beispiel, aber für zwei Menschen stand immerhin einiges auf dem Spiel. Der Vater war alleinste-hend, hatte nur noch seine Tochter, die er selten sah – im Dauerzwist mit ihr konnte er schlecht leben und schlecht sterben. Auch die Tochter war unglücklich, und es hätte leicht sein können, dass sie sich nach ihres Vaters Tod hef-tige Vorwürfe gemacht hätte. Dabei ging es in diesem Fall um eine lächerliche Kleinigkeit: um ein bisschen zu wenig gegenseitige Wertschätzung. Oft aber geht es zwischen Menschen und zwischen ganzen Völkern um furchtbare Grausamkeiten.
In dem genannten Beispiel hat die Patientin eine sinnvolle Möglichkeit erkannt, wie sie den Konflikt mit ihrem Vater beenden konnte: Mit einer „finalen Vorleistung“, wie wir in der Logotherapie sagen. Es hätte sogar noch andere ähnliche Sinnmöglichkeiten friedlicher Kommunikation mit ihrem Vater gegeben. Jedenfalls hat sie mittels geistiger Potentiale den Kreisprozess zwischen einem ständigen Einander-Enttäuschen durchbrochen.
Doch möchte ich hiermit die These aufstellen, dass es auch in der Ebene der Geistigkeit des Menschen ein Frie-denshemmnis gibt, und zwar eines, das gravierender sein dürfte als evolutionärer oder psychophysischer Druck. Und das ist eine Situation, in der im Unterschied zu der genann-ten Dame keine sinnvolle Möglichkeit mehr erkannt wird. Präzise ausgedrückt: In der sich unser „Sinn-Organ“ Gewis-sen nicht mehr auskennt und ins Schleudern gerät. Wenn man das Gewissen mit einem inneren Kompass vergleicht, dann ist es eine Situation, in der die Kompassnadel zu vib-rieren beginnt oder sich gar um die eigene Achse dreht. Ein Vorgang, der meines Wissens in der Psychologie und Ag-gressionsforschung bislang kaum untersucht worden ist.
Bevor ich auf eine solche extrem schwierige Situation nä-her eingehe, sei mir erlaubt, ein paar Gedanken zum Phä-nomen des Gewissens in Erinnerung zu bringen. Bekannt-lich hat Frankl den bedeutsamen Satz geäußert:
„In unserem Zeitalter muss es sich die Erziehung angelegen sein lassen, nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern auch das Gewissen zu verfeinern, sodass der Mensch hellhörig genug ist, um die jeder einzelnen Situation innewohnende Forderung herauszuhören …“
Frankl war sich demnach durchaus bewusst, dass es mit der Hellhörigkeit des Gewissens hapern kann – bis hin, dass sich das Gewissen des Menschen auch täuschen kann.
Es ist ja ein Empfangsorgan. Dasjenige, was es da emp-fängt bzw. empfangen soll, ist gemäß Frankl „der Ruf des Logos“, theologisch formuliert: die „Stimme der Transzen-denz“. Es ist das Sinnvollste, zu dem man jeweils gerufen ist. Dieser „Ruf an sich“ ist stets eindeutig und kristallklar, aber der Empfang des Rufs kann mehr oder weniger gestört sein. Es ist wie beim Radio, wenn man einem Musikpro-gramm lauscht. Die Musiker spielen ihre Musik tadellos, einwandfrei. Doch der Empfang der Musik kann verzerrt, von Störgeräuschen überlagert und sogar kaum vernehmbar sein.
Wie von Frankl betont, kann sich das menschliche „Or-gan“ Gewissen in der Deutung dessen, was es da abhört, ir-ren. Aber das besondere Friedenshemmnis, das ich hier prä-sentieren möchte, ist weniger das irrende, als vielmehr das irritierte Gewissen; ist das Gewissen, das einfach nicht ver-steht, was es empfängt. Es ist nicht das Gewissen, das den falschen Rat gibt wie das irrende Gewissen, sondern es ist das Gewissen, das plötzlich ratlos ist.
Zu einer solchen Irritation kommt es insbesondere im Moment eines akuten und brutalen Angegriffen-Werdens. Bedenken Sie folgendes: Es ist kein Kunststück, sich fried-lich zu verhalten, den Frieden zu bewahren, wenn man mit freundlichen Leuten zu tun hat, wenn man eingebettet ist in ein gut funktionierendes soziales Netz, wenn man liebevolle Bezüge zu seinen Mitmenschen hat. Was aber geschieht mit uns, wenn wir attackiert, beraubt, betrogen, gedemütigt, be-droht werden? Der psychische und vielleicht auch physische Schmerz und die aufkeimende Angst wecken alle Instinkte in uns, uns zu wehren, zurückzuschlagen, den Aggressor wenn nötig mit Gewalt, List oder Tücke in seine Schranken zu weisen.
Freilich hätten wir immer noch die innere Freiheit, auf ei-ne Gegenoffensive zu verzichten, aber dazu bedürfte es ei-nes starken Sinnmotivs – und das ist der Kernpunkt des Problems! Denn ein irritiertes, ein ratloses Gewissen ist stumm; es liefert kein Sinnmotiv. Und warum ist das Ge-wissen im Falle eines solch akuten Angegriffen-Werdens ir-ritiert? Das kann ich Ihnen sagen: Weil es sich vor lauter schlechte Wahlmöglichkeiten gestellt sieht. Ich behaupte, dass es das Fatale an jeder in die Welt gesetzten Aggression ist, dass sie den von der Aggression betroffenen Personen fast nur noch negative Wahlmöglichkeiten übrig lässt.
Bei der Dame aus München gab es für sie erkennbare po-sitive Handlungsmöglichkeiten, aber sehen wir uns ein tra-gischeres Beispiel an. Ein Vater geht mit seiner Tochter abends auf der Straße nach Hause. Es tauchen zwei Rowdys vor ihm auf und belästigen seine Tochter. Sie werden ge-fährlich handgreiflich. Was kann der Vater tun? Auf die Rowdys einschreien, sie anbrüllen? Auf sie – wenig aus-sichtsreich – einprügeln? Vor ihnen auf die Knie fallen und sie um Gnade anflehen? Weglaufen, um Hilfe zu holen – und die Tochter allein lassen? Die Brieftasche ziehen und alles Geld, das er hat, anbieten, um in Ruhe gelassen zu werden? Nichts von all dem sieht nach einer wirklich guten Wahlmöglichkeit aus! Alle seine Alternativen sind misera-bel.
Vielleicht erinnern Sie sich noch daran, wie Frankl eine Sinnwahrnehmung definiert hat, nämlich: Als das Aufleuch-ten einer Möglichkeit auf dem Hintergrund der Wirklichkeit. Und zwar der Möglichkeit, diese Wirklichkeit konstruktiv zu verändern. Will heißen; sie zu verbessern. So eine auf-leuchtende Möglichkeit zu orten, darauf ist unser Gewissen geeicht. Wenn aber weithin keine einzige Möglichkeit auf-scheint, die Realität veritabel zu verbessern, und das ist oft bei einer erlebten Aggression der Fall, dann tritt jenes Frie-denshemmnis ein, von dem ich spreche: Das Gewissen kennt sich nicht mehr aus und schweigt.
Das eigentlich Prekäre an einer Situation des Attackiert-, Gekränkt-, Gequält-Werdens ist somit nicht bloß der erlitte-ne Schmerz, den man verkraften muss, sondern vor allem die Tatsache, dass einem geradezu nur üble Wahlmöglich-keiten verbleiben. Wie soll das Gewissen Gutes unter Schlechtem herausfinden? Auf welchen „Sinn des Augen-blicks“ soll die innere Kompassnadel hinzeigen, wenn sich keine sinnvolle Reaktionsvariante abzeichnet? Wie kann man auf eine mit Aggression geladene Situation friedlich antworten? Sich alles gefallen lassen ist genauso fragwürdig wie blindwütig loszuschlagen.
Wenn ein Land sein Nachbarland überfällt, was kann der Nachbar machen? Sich okkupieren lassen oder Krieg führen – nichts davon ist gut! Wenn ein Schüler einen anderen mobbt, was kann der Gemobbte tun? Seine Verzweiflung hinunterschlucken, retour-mobben, sich hinterrücks beim Lehrer beklagen – nichts klingt vielversprechend! Es ginge darum, den Feind zu „entfeinden“, aber wie gelingt dies? Und wenn es nicht gelingt, läuft die Kette der Gewalt unge-hindert weiter.
Das ist der Grund, warum Frieden so schwer zu halten o-der wieder herzustellen ist. Wenn einmal eine Aggression irgendwo gestartet worden ist, läuft sie weiter und weiter, hin und her in der Welt. Jeder glaubt, sich verteidigen zu müssen, seine Werte retten zu müssen, die Bedrohung aus der Welt schaffen zu müssen, und bald kämpft Einer gegen den Anderen. Das Gewissen zappelt und schaut hilflos zu …
Nun ist es aber unser Credo in der Logotherapie, dass es in jeder persönlichen Situation, wie sie auch beschaffen sein mag, eine sinnvolle Möglichkeit gibt, solange jemand bei Bewusstsein ist. Es muss folglich auch im Falle des Ange-griffen-Werdens eine sinnvolle Möglichkeit geben! Wahr-scheinlich hängt die Friedensfähigkeit künftiger Generatio-nen genau davon ab, dass sich das Gewissen vieler Men-schen dahingehend weiterentwickelt, diese nur schwer wahrnehmbare Möglichkeit zu entdecken. Ich könnte mir die Richtung einer solchen Entdeckung sogar vorstellen.
Frankl hat in seinem Grundlagenwerk „Ärztliche Seelsor-ge“ den Satz geschrieben: „Der Sinn der Individualität er-füllt sich erst in der Gemeinschaft.“ Darauf bezogen meine Vermutung: Vielleicht ist es so, dass in dem drastischen Fall, dass jemandem bloß noch schlechte Wahlmöglichkei-ten verbleiben, diejenige Wahl die Sinnvollste ist, die der Gemeinschaft am meisten nützt, selbst wenn sie der Person – wie all ihre Alternativen – schadet. Und was nützt der Menschengemeinschaft im Aggressionsfall am allermeis-ten? Wenn die Aggression gestoppt wird! Das heißt: Wenn der Angegriffene darauf verzichtet, die Aggression zurück-zuleiten oder weiterzuleiten … und den Schmerz oder was immer es für ihn selbst bedeutet, aushält. Dies, ja, diese Sichtweise könnte dem Gewissen auf die Sprünge helfen.
Was wäre etwa im Beispiel des Vaters das Beste für die Gemeinschaft? Nicht für ihn und seine Tochter, sondern für die Gemeinschaft, in der er lebt? Doch wohl, dass die zwei Rowdys besänftigt werden, dass sie auf einen korrekten Weg zurückfinden. Mit Schlägen oder Strafandrohungen und Verurteilungen wird dies nicht zu erreichen sein. Mit Bestechung und Quasi-Belohnung auch nicht. Wie wäre es damit?
Der Vater stellt sich schützend vor seine Tochter, umfasst sanft die Fäuste der Angreifer und spricht voller Respekt mit den Burschen: „Tut dies nicht“, sagt er und riskiert Hie-be und Spott. „Tut dies nicht! Ihr seid keine Bösewichter! Es steckt ein guter, ein edler Kern in Euch! Holt ihn hervor! Vielleicht habt Ihr schlechte Vorbilder gehabt, vielleicht ei-ne schwere Kindheit gehabt … Aber Ihr könnt mehr aus Euch machen, als Ihr denkt! Kommt, begleitet uns auf unse-rem Heimweg. Erzählt mir, was Euch bedrängt und be-drückt. Ich höre Euch zu …“
Freilich, es ist eine winzige Chance, mehr nicht. Sinner-füllung ist keine Garantie für einen erwünschten Ausgang, nur eine Garantie für ein würdiges Leben. Aber wer weiß? Jemand hat einmal wohlwollend und gütig mit den Rowdys gesprochen, ein Tropfen Balsam ist in ihre Seelen gefallen. Selbst, wenn sie den Vater und seine Tochter nicht verscho-nen, könnte dieser Tropfen in ihnen hängen bleiben und sie vor weiteren Schandtaten zurückschrecken lassen. Wenn ei-nem Gutes widerfährt, und sei es minimal, kennt sich das Gewissen perfekt aus.
Wenn sich also jemand von Ihnen in einer dramatischen Stunde vor lauter schlechte Wahlmöglichkeiten gestellt sieht, könnte er zum Notgriff greifen und sich fragen: Was wäre wenigstens für die Gemeinschaft, der ich angehöre, hilfreich? Vielleicht lichtet sich dann seine verschattete Sinnwahrnehmung ein wenig. Als Frankl im Konzentrati-onslager unter lauter letalen Aussichten die Entscheidung traf, freiwillig in der Fleckfieber-Baracke ärztlichen Dienst zu leisten, dachte er sich: „Höchstwahrscheinlich sterbe ich sowieso. Da möchte ich vorher noch etwas Gutes für die Gemeinschaft tun.“ Wie erwartet steckte er sich mit der Krankheit an, aber glücklicherweise überlebte er.
Zusammenfassend möchte ich jedem, der sich in einem dunklen Moment seines Lebens nur noch von Unzumutbar-keiten und Ausweglosigkeiten umgeben sieht, nahelegen, um eine Entscheidung zu ringen, die am ehesten zum all-gemeinen Frieden beitragen kann. Auch wenn sie ihn selbst in dem Unfrieden stehen lässt, der ihm diese schlechten Wahlen beschert hat. Das kann man von niemand Anderem, nur von sich selbst verlangen. Aber es gibt sie, die „Helden des Friedens“, wie ich sie nennen möchte, die uns Niveau-Halten, heroisches Erdulden und gewaltlosen Widerstand vorexerziert haben, und sie sind tausendmal mehr zu be-wundern als sämtliche Kriegshelden auf den steinernen Po-desten der menschlichen Geschichte.
Hervorragende Denker wie Mahatma Gandhi, Dalai Lama, Nelson Mandela oder Martin Luther King haben im großen Stil auf eine solch friedliche Reaktion auf jahrzehntelanges Leid durch exzessive Angriffe gesetzt, und Frankl kann man ohne zu zögern in ihre Reihe einordnen. Nicht umsonst ist er von der Universität in Porto Alegre in Brasilien für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen worden.
Dazu noch ein letzter Aspekt: Es ist ja nicht so, dass Ag-gressoren als Aggressoren, dass Bösewichter als Bösewich-ter geboren werden. Sie alle werden als wertvolle Personen geboren, die sie sind und bleiben. Irgendwann haben sie sich auf ihrem Lebensweg verstrickt und sehr häufig sind sie selber seelisch-körperlich massiv verletzt worden. Längst wissen wir aus der neuropsychologischen Forschung, dass es Verletzte sind, die wiederum Andere verletzen. Das ent-schuldigt ihr Fehlverhalten nicht, aber es führt zu der Ein-sicht, dass jede Linderung seelischer Wunden dieses ständig sich fortsetzende Einander-Verletzen abbremst und dadurch den Frieden in der Welt fördert.
In dem berühmten Franklbuch „…trotzdem Ja zum Leben sagen“ gibt es eine bemerkenswerte Stelle, von der ich noch nie gehört habe, dass jemand sie zitiert hätte, obwohl sie meines Erachtens eminent aussagekräftig ist. An dieser Stelle berichtet Frankl über die Zeit nach der Befreiung aus dem Konzentrationslager, als die Überlebenden auf ihren Abtransport warten mussten. Frankl ging damals mit einem Kameraden über die Felder spazieren. Es war Frühling 1945, und vor ihnen dehnte sich ein Acker mit frischer Saat aus. Frankls Kamerad trat mitten in diese Saat hinein. Frankl wollte ihn zurückziehen, da schrie sein Kamerad wutentbrannt: „Man hat mir Frau und Kind vergast, und du willst mich hindern, ein paar Halme zusammenzutreten …!“
Bitte prägen Sie sich ein, was Frankl nachfolgend schrieb:
„Nur langsam kann man diese Menschen zurückfinden las-sen zu der sonst doch so trivialen Wahrheit, dass niemand das Recht hat, Unrecht zu tun, auch der nicht, der Unrecht erlitten hat. Und doch müssen wir daran arbeiten, diese Menschen zu dieser Wahrheit zurückfinden zu lassen, denn die Verkehrung dieser Wahrheit könnte leicht viel schlim-mere Folgen haben als den Verlust von einigen tausend Ha-ferkörnern für einen unbekannten Bauern.“
Na, das kann man uneingeschränkt sagen, dass überall dort noch weit Schlimmeres geschieht, wo ein Unrecht das nächste zeugt, das nächste Unrecht das nächste zeugt, und so fort!
Es ist keine triviale Wahrheit, es ist eine fundamentale Wahrheit, die Frankl in dieser Textstelle formuliert hat. Ich wiederhole: „Niemand hat das Recht, Unrecht zu tun, auch der nicht, der Unrecht erlitten hat!“ An dem Tag, an dem unser Gewissen diese Wahrheit zutiefst und nachhaltig be-griffen hat, kann der Friede zwischen den Menschen einkeh-ren. „Wir müssen daran arbeiten …“ war Frankls Empfeh-lung.
So möchte ich schließen mit einem anderen Frankl-Wort aus demselben Buch. Einem Wort, das uns allen auch in der heutigen Zeit ein profundes Motiv liefert, uns wieder und immer wieder für den Frieden einzusetzen. An manche Abende im Lager zurückdenkend wurde Frankl poetisch. Er schrieb:
„Wenn wir dann draußen die glühenden Wolken im Westen sahen und den ganzen Horizont belebt von den vielgestalti-gen und stets sich wandelnden Wolken mit ihren phantasti-schen Formen und überirdischen Farben vom Stahlblau bis zum blutig glühenden Rot und darunter, kontrastierend, die öden grauen Erdhütten des Lagers und den sumpfigen Ap-pellplatz, in dessen Pfützen noch sich die Glut des Himmels spiegelte, dann fragte der Eine den Anderen nach Minuten ergriffenen Schweigens: „Wie schön könnte die Welt doch sein!“
Ja, meine Damen und Herren: Wie schön könnte die Welt doch sein! Mögen Sie diesen Gedanken in Ihrem Herzen bewegen! Und möge er Sie durch die Kongresstage beglei-ten, dann werden Sie viele wunderbare Ideen haben, wie Sie selbst zur Schönheit unserer Welt beitragen können!
Galeria de Imagens
Livros internacionais