Heidi Schönfeld und Elisabeth Lukas
Zu Frankls Liebesbegriff – ein Briefwechsel
Elisabeth Lukas antwortet auf Fragen zum Liebesbegriff von Viktor E. Frankl
Aus einem Briefwechsel zwischen Heidi Schönfeld und Elisabeth Lukas. Zu Frankls Kapitel „Vom Sinn der Liebe“ ergaben sich 2014 Fragen, über die wir nachdachten.
Fragen zu Frankls „Ärztliche Seelsorge“
(Kapitel II. A. 4 „Vom Sinn der Liebe“).
„Mir ist bei dem Kapitel aufgefallen: Frankl hat das ja noch vor dem KZ, also in den frühen 40er Jahren gedacht/geschrieben (und später ergänzt). Das spürt man durch, weil seine damalige Liebes-/Beziehungs-Realität durchschimmert. Ich frage mich, was würde er heute schreiben, wenn er sähe, wie Sexualität/Beziehungen/Liebe sich sehr verändert haben? – Er würde nichts komplett anders schreiben – aber er würde auf Gegenwartsphänomene eingehen. Das wäre spannend.
Frankl leitet – jenseits von Moral – ganz logisch her, dass echte Liebe auf Treue und Dauer angelegt ist, das ist sehr einsichtig. Aber heute sind solche Lebensläufe eher die Ausnahmen. – Gut, früher waren Ehen möglicherweise formal und von außen intakt bis zum Tod – aber bestimmt längst nicht alle glücklich! Oft mussten zwei aus wirtschaftlichen Gründen zusammenbleiben, vor allem, weil Frauen erst seit kurzem ein eigenständiges „Single“-Leben schaffen können.
Wie ist das mit der echten Liebe: Person A und B haben sich gefunden, beide lieben sich aufrichtig und in der ganzen Tiefe ihres Personseins, dh sie sehen und lieben sich so, wie sie in ihrer besten Form sein können. Alles ist gut.
Aber die Jahre gehen ins Land, Menschen verändern sich notwendig – und nicht nur zum Besseren, sondern auch zum Schlechteren. Man muss sich immer entscheiden – und kann auch schlechte Entscheidungen treffen. Angenommen B entscheidet sich mehr und mehr für ein Haben, für materiellen Erfolg, schwimmt auf der Welle nach oben und bekommt Avancen von hübschen, jüngeren Menschen – und sagt sich, warum nicht? B lässt sich also auf Seitensprünge ein.
Wie ist das dann mit der Liebe? Hat sich B‘s anfänglich echte Liebe verflüchtigt? Die war zwar auf Dauer/Ewigkeit angelegt, aber B‘s Entwicklung ging weg von ihr?
Was ist mit A? Bleibt A‘s Liebe standhaft? B hat sich ja verändert, ganz weit weg von der besten Form, die A erschaut hat? Ja, sein Verhalten war eigentlich abscheulich. Revidiert A jetzt seine Liebe, weil B ein anderer geworden ist? Dann war die Liebe nicht auf Dauer.
A‘s und B‘s gibt es in Mengen, manchmal scheitern sie ganz schlimm, manchmal arrangieren sie sich, meist trennen sie sich. In meinem Bekanntenkreis könnte ich viele Varianten dazu aufzählen. Es ist auch nicht so, dass die sich nie echt geliebt hätten, das wäre eine unrichtige Unterstellung.
So einfach geht die Rechnung von rückwärts ja nicht: Wer zusammenbleibt = echte Liebe, wer sich trennt = nur emotional, körperlich, aber ohne Tiefe.
Wieso endet Liebe, wenn sie einmal ganz echt und erst und wahr war und den Menschen so geschaut hat, wie er von Gott gemeint war?
Oder muss man das so denken: Für die Liebenden ist es eine täglich neue Frage, ob sie lieben, es muss die existentielle Begegnung immer neu aktualisiert werden. – Das bedeutet dann, dass eine nicht mehr aktualisierte Liebe – – – stirbt. Oder?
Oder malt Frankl in wunderschönen Worten ein Ideal, so wie es eigentlich der Menschen würdig sein sollte – aber es ist wie ein ferner Stern, an dem wir uns ausrichten soll, aber den wir nicht erreichen können?
Oder man liebt wirklich – kann aber wieder wegknicken und in die Haltung des Habens fallen. Und nach einem guten Urlaub/Buch/Seminar/Paartherapie – wieder den Weg zum echten Lieben finden. Dann könnte die Liebe vielleicht qualitativ in Wellenlinien verlaufen.
Ein zweites finde ich bei dem Kapitel sehr schwierig. Unter dem Unterkapitel „Die psychosexuelle Reifung“ macht er eine Fußnote Nr. 48. Da schreibt er „Ebenso- wenig oder selten, wie der durchschnittliche Mensch echter Liebe fähig ist, eben- sowenig oder selten gelangt er auch auf die höchste Entwicklungsstufe des Liebeslebens.“ Aber das hohe Ziel müsse es geben.
Nun, das ist sehr gewagt formuliert, das wertet auch die „durchschnittlichen“ Menschen arg weit ab.
Ich denke, dass jeder „durchschnittliche“ Mensch echt lieben kann – wenn er nicht neurotisch verdreht oder egozentrisch o.ä. ist. Sonst stimmt ja Frankls ganzes Konzept nicht – eine Lebensform, die kaum einer erreicht, warum sollte die dann zutiefst jedem Menschen angemessen sein? Hier klingt Frankl schon elitär, wenn er in Bausch und Bogen die durchschnittlichen Menschen (qua Mehrheit!!!) so schlecht wegkommen lässt.
Sie haben ihn persönlich gut gekannt: Hat er das wirklich so gedacht?
Liebe als Akt der Selbsttranszendenz – wenn das zutiefst den Menschen zum Menschen macht – wie kann es sein, dass „durchschnittliche“ Menschen das nicht erreichen?“
Hier die Gedanken dazu von Dr. Elisabeth Lukas – zum Thema: „Frankls Liebesbegriff“
Viktor E. Frankl hat in seinem Buch „Ärztliche Seelsorge“ auf sehr rührende Weise die „echte Liebe“ zwischen zwei Menschen beschrieben und sie von den „nur“ erotischen und sexuellen Beziehungen abgegrenzt. Diese echte Liebe sei auf Dauer angelegt – und Frankl hat sie auch in seiner mehr als 50jährigen Ehe so gelebt.
Blickt man heutzutage auf die Partnerschaften rings um sich, erhebt sich allerdings die Frage, ob er mit seinem anspruchsvollem Liebesbegriff ein Ideal von eher richtungsweisender als tatsächlich erreichbarer Art skizziert hat. Er selbst gab im Buch zu, dass der durchschnittliche Mensch selten auf die höchste Entwicklungsstufe des Liebeslebens gelangen werde. Da Frankl ansonsten viel vom gesunden Menschenverstand und Empfinden des „Mannes bzw. der Frau von der Straße“, also dem Durchschnittsbürger, gehalten hat, mutet letztere Einschätzung ein wenig pessimistisch an. Ist die Kluft zwischen Frankls Liebesideal und der Realität so enorm groß, und wusste Frankl darum?
Es ist schade, dass wir ihn nicht mehr dazu fragen können. Aus den in seinen späten Jahren neuaufgelegten Texten geht jedoch hervor, dass sich Frankl sein „Ideal“ von den modernen Partnerschaftspraktiken keineswegs rauben ließ. Er war derjenige, der das spezifisch humane Element, die Geistigkeit des Menschen, erforscht und gedanklich durchkomponiert hat bis zur äußersten Konsequenz. Und zur Geistigkeit gehört eben die reine Werteschau, auch eins Dus, ohne jegliches Besitzstreben. Wenn die Henne ihres Weges entlang spaziert, wird von ihr alles auf dem Weg Liegende auf seine Brauchbarkeit, in diesem Fall auf seine Fressbarkeit, geprüft. Würde man ihr einen strahlenden Diamanten vor die Füße legen, würde sie ihn auf Grund seiner Unbrauchbarkeit ignorieren. Zum Wert „Schönheit“, gar „Schönheit an sich“ hat die Henne keinen Zugang.
Ein geistiges Wesen wie der Mensch hat jedoch einen solchen Zugang. Er kann niederknien und ergriffen die Schönheit des Diamanten bewundern. Naturgemäß steckt auch die „Henne“ in ihm. O ja, der Diamant ist nicht nur schön, er ist auch brauchbar, weil man ihn zu Geld machen kann. Und so greift der Mensch gierig nach dem Diamanten …
Ein Forscher, der den geistigen Funken im Menschen hervorheben wollte, musste ihn aus dem Gefieder der „Henne im Menschen“ isolieren. Er musste dieses erstaunliche urmenschliche Potential, sich an Schönheit pur erfreuen zu können, aus dem Wust von Begehrlichkeit, Kommerz und egoistischem Kalkül herausfiltern und zur Darstellung bringen, damit überhaupt darum gewusst werde. Es ist doch nur ein Funke, und wird er nicht angeblasen, könnte er zu einer solchen Winzigkeit verglimmen, dass er leicht übersehen wird. Dann reduziert sich die Theorie vom Menschsein auf „Hennenniveau“.
Analog ist es wohl mit Frankls Liebesbegriff. Liebe definierte er als die innigste Werteschau des geliebten Menschen. Die tierische Herkunft in uns will freilich anderes. Sie will Vorteile, Zärtlichkeiten, Paarung. Will etwas vom geliebten Menschen haben. Erwartet etwas von ihm. Es ist herrlich, wenn sich dies alles zu einer friedlichen Einheit ergänzt und die Werteschau den nüchternen Alltag weiterhin durchleuchtet. Aber Diamanten sind eben nicht fressbar. In Übertragung: Gehen Vorteile und Zärtlichkeiten des Partners zurück, bringt er nicht, was von ihm erwartet wird, ja, benimmt er sich vielleicht sogar abscheulich, was vorkommen kann, dann reduziert sich auch die Werteschau.
Insbesondere, wenn jemand die exklusiv in ihm schlummernden Werte nicht (mehr) zur Verwirklichung bringt, wird es dessen Partner/Partnerin immer schwerer fallen, ihrer ansichtig zu bleiben. Mit dem Rückgang der Werteschau schwindet aber zugleich die „echte Liebe“, obwohl sie ihrem Wesen nach auf Dauer angelegt war, weil ja auch die Werte des ursprünglich geliebten Menschen auf Dauer angelegt sind. Diamant bleibt Diamant. Allein, wer bewundert die Schönheit eines mit Schmutz verkrusteten Diamanten?
Es ist schon so: des Menschen Geistigkeit ist ein Funke in einem Meer von Asche. Deswegen ist des Menschen Fähigkeit, wahrhaftig und selbstlos zu lieben, rar. Seien wir dennoch dankbar für diesen Funken: er hebt uns über die Köpfe der „Hennen“ hinweg himmelwärts, Abstürzte inkludiert. Und seien wir dankbar, dass uns jemand derart und beharrlich auf diesen kostbaren Funken in uns aufmerksam gemacht hat wie Viktor E. Frankl. Wer er ein Träumer, ein Idealist? Ich glaube es nicht. Ich glaube vielmehr, er verwies uns auf eine Metarealität, die unsere Realität umschließt und gleichzeitig öffnet für ein besseres Menschentum am fernen Horizont der Zukunft, an dem der Funke – so unsere Hoffnung – eine Spur heller lodern mag als heute.
Elisabeth Lukas, Februar 2014
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